Freitag, 7. Dezember 2007

Santiago de Chile

Etappenziel erreicht. Nach vielen, vielen Stunden Busfahrten und jeder Menge unterschiedlicher Eindruecke, bin ich (bereits vor einer Woche) in Santiago de Chile eingetroffen. Die Stadt stellt ein Etappenziel dar, da ich einerseits ein weiteres Praktikum hier machen werde und da es andererseits auch in Santiago sein wird, dass ich die Halbzeit meiner Reise erreichen werde.
Bevor ich jedoch nach Santiago gelangt bin, habe ich noch Station in Boliviens Hauptstadt La Paz gemacht, eine Horrorbusfahrt von La Paz zu den Salzseen bei Uyuni ueberlebt und eine Wueste durchquert. Das Horrormaessige an der busfahrt war, dass ich in meinem Sitz nicht aufrecht sitzen konnte, da der Bus ein wenig fehlkonstruiert war. Zudem war es wenig vertrauenseinfloessend, dass waehrend der Nacht immer wieder angehalten werden musste um grosse Steine von der „Fahrbahn“ –eine Strassenbezeichnung, die zuviel suggeriert- zu raeumen.
Auf dem Weg von Bolivien nach Chile war dann so einiges geboten: Salzseen, Hotels aus Salz, eine Gruppe Radfahrer, die den amerikanischen Kontinent durchqueren (!), Lagunen, Geysire und heisse Quellen mit Moeven auf 4500 Meter Hoehe.
In Santiago habe ich jetzt mal wieder die Gelegenheit die Klamotten aus dem Rucksack zu holen und in einen echten Schrank einzuraeumen! Santiago bedeutet fuer mich wieder ein Stueck Normalitaet und Alltag. Ich bewohne mein eigenes Zimmer und sehe dieselben Mitbewohner jeden Tag. Es ist schon lustig, wie man die alltaeglichsten Dinge auf einmal wieder wahrnimmt.
Hier in der WG geht jeder irgendeiner Beschaeftigung nach. Eines ist aber allen gemeinsam: das Geld ist knapp. So wird man schon erfinderisch. Wenigstens gilt der Erfindungsreichtum fuer den Schweizer Urs. Er hat nach langem Ueberlegen (Kellnern, Breakdancer, Stripper in einer Schwulenbar) sein eigenes Business gestartet und verkauft jetzt taeglich Erdbeersaft an einer Strassenkreuzung. Durchaus eine chilenische Art Geld zu verdienen.
Derartiger Erfindungsreichtum ist bewundernswert und im Falle meines Mitbewohners vorallem amuesant fuer uns WG Bewohner. Fuer viele junge Leute hier ist derartige Selbstvermarktung hingegen eine Notwendigkeit. In der Folge sieht man an den Hauptverkehrswegen immer wieder Jongleure und andere Kuenstler. Kunst ist das Stichwort fuer meine ersten Eindruecke von dieser Stadt: jeden Sonntag trifft sich die Kuenstlergemeinde ringsum das Gebaeude der Kunstakademie und fuehrt kleine Theaterstuecke auf, fuehrt Kunstuecke vor oder belustigt die Menge. Um das bunte treiben legt sich ein Flohmarkt und es riecht nach Cannabis. Mit einem Kollegen war ich in einem Theaterstueck (ich wuesste nicht, wann ich das letzte mal so viel Kultur an den Tag gelegt habe..) – und ich fand es toll. Die Stadt selbst ist zwar dichtbevoelkert und gross, sie hat aber ein ueberschaubares Zentrum. Ringsherum um dieses Zentrum gibt es dann eine Unzahl baulicher Widersprueche zu entdecken, die es reizvoll machen, jedesmal einen anderen Weg durch die Haeuserschluchten einzuschlagen.
A propos Kollege. Ich bin jetzt uebrigens der „Onkel Miguel“ – der Kindergaertner. Ich arbeite weit im Sueden der Stadt, am Ende der Metrolinie, in einem „offenen Zentrum“ namens Los Pinos . Das Zentrum ist einer Gesamtschule angeschlossen. Offenes Zentrum bedeutet, dass die Kinder und Jugendlichen, wenn sie keinen Unterricht haben, zu uns kommen koennen und von uns beschaeftigt, bzw beaufsichtigt werden. Die Kinder kommen allesamt aus schwierigen familiaeren Verhaeltnissen. Da gibt es Kids, deren Eltern Drogenprobleme haben oder deren Familien einfach richtig arm sind. Die Kinder selbst haben zum Teil Disziplin- und/oder Konzentrationsschwierigkeiten. Die allermeisten sind schwer zu bremsen und gehorchen schlechter als ein Welpe. Sie sind aber deshalb keineswegs ueble kleine Wesen oder so was. Ich jedenfalls habe viel Spass mit ihnen. Und was noch besser: ich lerne taeglich irgendwas von ihnen.
Jeden Morgen verlasse ich also meine neue Bleibe und stuerze mich ins Getuemmel der chilenischen Metro. Dieses Transportmittel ist neuesten Datums und funktioniert hervorragend. Einziger Nachteil: sie ist recht teuer und stellt den Betrieb um 23 Uhr ein. Aber das nur am Rande.
Der Vorteil ist der Nachteil in einer Metropole wie dieser: sie ist gross, hat damit einiges zu bieten aber die Wege sind lang. Der Weg zur Arbeit kostet mich persoenlich taeglich 3 Stunden meines Lebens. Die Arbeit ist etwas ganz Neues fuer mich, da ich noch nie mit Kindern gearbeitet habe und bisher auch nicht unbedingt gedacht hatte, so etwas jemals zu tun. Aber das Leben ist ja nunmal im staendigen Wandel begriffen und so sind wir es auch. Was gestern noch undenkbar war, kann morgen schon Realitaet werden. Und nicht nur das: es kann auch ueberraschenderweise gut gefallen! Das tut die Arbeit mit den Kids wirklich. Auch wenn es nicht immer ein Zuckerschlecken ist, weder koerperlich noch geistig. Die Kinder haben so viel Energie, von der ein grosser Teil auf den „Onkel“ oder die „Tante“ niedergeht. Ich weiss nicht, wie viele Kinder ich schon in die Hoehe stemmen musste oder durch die Gegend getragen habe. Meine Aufgabe bestand bisher darin Klatschspiele zu erlernen und Ball zu spielen.
Da ich (gluecklicherweise) kein studierter Paedagoge bin, kann ich in aller Seelenruhe beobachten und von den Kindern lernen, anstatt mit Missionarseifer zu erziehen. Dennoch bin ich immer wieder geneigt, mit Kommentaren auf die Kinder einzuwirken, die nicht wie andere Kinder Astronaut, Doktor oder Muellmann werden wollen, sondern die schon im zarten Alter von 10 Jahren eins klar habe: „ich will Boese sein!!“

Mehr Eindruecke in ein paar Wochen.

Liebe Gruesse in die Vorweihnachtszeit
Euer MIKE

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